BERNHARD SCHREINER
BERNHARD SCHREINER
VOIDs
Sound is a present absence; silence is an absent present.
Or perhaps the reverse is better: sound is an absent presence; silence is a present absence?
In this sense, sound is a sinister resonance —
Dieses Zitat aus David Toops Sinister Resonance – The Mediumship of the Listener (Continuum, 2010) ist seit jeher Angelpunkt für Bernhard Schreiners Arbeiten, zeigt es doch eindrücklich, wie un(be)greifbar, phantomhaft, ja geradezu unheimlich das Phänomen Klang sein kann. In Schreiners bisherigem Werk spielt Klang eine prominente Rolle, in Form tatsächlich klingender Installationen oder als Motiv, das sich in anderen Medien, zum Beispiel der Fotografie, manifestiert.
Für die aktuelle, vierte Ausstellung des Künstlers in den Räumen der Kai Middendorff Galerie scheint Klang zunächst kein Thema zu sein. VOIDs, so ihr Titel, präsentiert im Hauptraum der Galerie vierundfünfzig in einem gleichmäßigen geometrischen Raster am Boden ausgerichtete flache, quadratische Objekte, die entfernt an Fliesen erinnern. Allerdings sind sie bei aller Einheitlichkeit der Anordnung nicht einheitlich genug, um sie als Wiedergänger des Minimalismus durchgehen zu lassen; sie haben verschieden deformierte Kanten und Aussparungen, sind unterschiedlich hoch, zeigen verschiedene Farbnuancen und sehr unterschiedliche Oberflächenstrukturen. Die Einheitlichkeit ihrer Masse, ihre Wiederholung in Reih und Glied wird konterkariert durch die individuelle Behauptung der einzelnen Elemente.
Der Titel der Arbeit, Materialized blank (54 units), gibt zu verstehen, dass sich hier etwas materialisiert hat, möglicherweise eine Lücke oder Leere. Es handelt sich bei den Platten um Betongüsse, als deren Gussformen Pizzakartons aus einer Pizzeria neben Schreiners Atelier dienen – Kartons, die einmal Pizza enthielten, die gegessen wurde, sei es vom Künstler selbst, vom Atelierkollegen oder Besuchern. Hieraus erklären sich die Spuren und Strukturen in den Oberflächen der Objekte: Nicht nur jede Pizza hat ihre eigenen, unvorhersehbaren, zufälligen Marken den Kartons eingeprägt, sondern auch Schreiner hat Spuren hinterlassen, in der Wahl immer anderer Betonmischungen, unterschiedlicher Zementsorten und Zuschlagstoffe, zugesetzten Pigmenten und verschieden behandelten (geölten, gewachsten etc.) oder völlig unbehandelten Oberflächen.
Das Ergebnis sind Volumen, physische, dreidimensionale Objekte, die Raum einnehmen und Gewicht haben. Sie verdrängen jetzt, in dieser Ausstellung, (Galerie-)Raum der früher einmal, vor ihrer Entstehung, Leere war, leerer Innenraum verschiedener, vermeintlich identischer Pappschachteln. Im Einklang mit dem eingangs erwähnte Zitat zur Absenz und Präsenz von Klang und Stille könnte man sagen, Schreiner habe versucht, der dem Klang ähnlich ungreifbaren, undarstellbaren Leere eine Form zu geben beziehungsweise sie zu ersetzen, mit etwas ungleich schwererem als Luft, um sie greifbar zu machen; ein aussichtsloser Versuch, denn die Leere ist absent, sie lässt sich nach wie vor nicht abbilden oder festhalten, ganz wie der Klang und die Stille; aber etwas ist da, liegt vor uns auf dem Galerieboden; eine Resonanz ehemaliger Leere vielleicht.
Eine weitere Assoziation, die sich bei dieser Arbeit aufdrängt, ist die eines Tagebuchs – wenn auch eines sehr eigenartigen, das die Leere im Inneren einiger Objekte über den Zeitraum eines Jahres hinweg aufzeichnet und gleichzeitig die Beschäftigung mit einem spezifischen Material dokumentiert: Beton.
Letztere setzt sich in mehreren Arbeiten auf Papier und Leinwand fort. Die sechsteilige Serie Debris (indeterminacy) im Eingangsbereich der Ausstellung entstand durch das Eintauchen von Papieren in eine Betonmischung, die nach der Trocknung zwei verschiedene Zustände aufwies: Ein Teil des Betons war ins Papier eingedrungen, ein anderer lagerte sich als Kruste an der Oberfläche des Papiers ab und wurde durch leichtes Klopfen teilweise wieder abgetragen. Die abgeblätterten Krusten-Reste befinden sich zusammen mit ihren ehemaligen Trägern in Objektrahmen. Es ist nicht gesichert, dass die Arbeiten ihren gegenwärtigen Zustand beibehalten. Im Gegenteil. Wie bereits der Titel vermuten lässt, sind Zerstörung und Zufall – Veränderung durch sich selbst oder durch äußere Einflüsse – wichtige Aspekte dieser Werke, ebenso wie der Raum im Inneren der Objektrahmen, die ein den Pizzakartons ähnlich geartetes Volumen darstellen.
Die Arbeit Betwixt (and between) deutet bereits in ihrem Titel an, was für alle gezeigten Arbeiten geltend gemacht werden kann: die Frage nach der Wahrnehmung von Fläche und Raum und ihrem Gegenpart beziehungsweise das Positiv/Negativ-Problem oder der Zustand zwischen diesen beiden Widersachern. Betwixt (and between) scheint in mehrfacher Hinsicht eine Schwelle oder einen Übergangszustand zu verkörpern. Ist das noch eine Papierarbeit oder eine Betonarbeit, ein Objekt, ein Relief oder doch Malerei, gibt es einen Vorder- und Hintergrund, gibt es Bereiche, die als positive oder negative gesehen werden …?
Betrachtet man Chant (bone) und Edge (brain) scheint es um ähnliche Überlegungen zu gehen. Wieder kommen Beton und eine Art Zementschlämme zum Einsatz, allerdings auch Acryl, diesmal auf Leinwand, der Malerei somit vielleicht am Nächsten. Diese beiden Arbeiten beziehen sich konkret auf eine Eigenheit im hinteren Bereich der Galerie, eine Art Keil, der aus der Wand in den Raum ragt und beinahe wie ein übriggebliebenes Werk erscheint. Dieser wurde in seinen exakten Maßen auf zwei Dimensionen reduziert und das Ergebnis dem architektonischen Ausgangskonstrukt zur Seite gestellt. Tatsächlich handelt es sich aber auch hier, wie immer in der Malerei, nicht um eine rein zweidimensionale Darstellung: Der massive Keil in seiner Dreidimensionalität verweist darauf, dass auch diese relativ flachen Arbeiten Raum verdrängen und als Objekte zu betrachten sind.
Eine Klangarbeit gibt es dann doch noch in Schreiners Ausstellung, obschon sie keinen Titel trägt und naturgemäß nicht gesehen werden kann (und auch nicht durch Ausgabegeräte wie etwa Lautsprecher im Raum markiert wird). Trotzdem sie versucht, sich auch akustisch zu verstecken, besetzt sie doch einen Raum, einen akustischen Raum, sie mischt sich in diesen Raum ein, verändert ihn und verweist damit auf eine dritte Ebene. Wir sind uns nicht sicher, ob diese Ebene die Schwelle bezeichnet zwischen zwei Zuständen oder Gegebenheiten oder ob sie aus diesen beiden durch Mischung als ein weiteres Positiv hervorgeht.
Der eingangs zitierte David Toop hat das letzte Wort: „If Murch is right, then sound without apparent source will always return us at some unconscious level to our pre-birth state, but with the added anxiety of awareness, of knowing that sounds should have a cause. If they lack a cause, then our need is to invent one.“
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Text zur Serie ”Borderland” / deutsch pdf
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